Wie sich die junge Generation durch den Journalismus von heute bewegt.
TikTok, Journalismus und Gen Z: Die neue Medienlandschaft im Fokus
Bonn · Hatice Kahraman ist Redaktionsleiterin des Salon5, der Jugendredaktion des Recherchenetzwerks Correctiv. Über die Verbindung von TikTok, Journalismus und der Gen Z weiß sie bestens Bescheid: Welchen Einfluss haben junge Leute auf die Nachrichten von heute? Und wie verändert TikTok die Art und Weise, wie wir Informationen konsumieren? Über diese Fragen spricht sie im Interview.
FOTO: Hatice Kahraman
Liebe Frau Kahraman, warum ist es wichtig, die Gen Z stärker in das journalistische Arbeiten von heute mit einzubeziehen?
Im Salon5 machen wir Journalismus von und mit jungen Menschen zwischen 13 und 18, weil wir gemerkt haben, dass diese Zielgruppe häufig vergessen wird. Damit zeigen wir, warum Journalismus für alle Menschen wichtig ist und jeden etwas angeht – nicht nur diejenigen, die ohnehin schon bestens informiert sind oder bereits voll im Berufsleben stehen. Es gibt viele Medienangebote für junge Menschen, allerdings richten sie sich häufig entweder an Kinder oder junge Erwachsene, die gerade ihr Studium oder eine Ausbildung begonnen haben.
YouTube, TikTok und Instagram sind unter den Top 5 Online-Angeboten, auf denen sich Jugendliche über das aktuelle Weltgeschehen informieren. Wie gut ist das auf einer Plattform wie TikTok möglich?
Tatsächlich ist es sehr schwierig, sich auf TikTok über das aktuelle Weltgeschehen zu informieren. Das Problem liegt darin, dass sich dort wenig verlässliche und informative Inhalte zur aktuellen nachrichtlichen Lage finden. Die App schränkt zudem die Möglichkeit ein, auch einmal in andere Quellen zu schauen, da es keine externen Links gibt und die Nutzung auf TikTok selbst beschränkt ist. Das ist nicht nur gefährlich, weil die Plattform stark von sich abhängig macht, sondern auch, weil viele junge Menschen sich ausschließlich dort informieren, aber nur begrenzte Informationen erhalten.
„Es ist wichtig, bewusst die Funktionen auf TikTok auszuprobieren und zu verstehen, was dahintersteckt, wenn wir uns umfassend informieren möchten.“
Warum sind immer mehr seriöse Nachrichtendienste wie die Tagesschau auf TikTok?
Ich sehe TikTok als eine neue Herausforderung im positiven Sinne – gerade für Journalistinnen und Journalisten. Wir werden dazu ermutigt, wichtige Informationen in sehr kurzen Zeitrahmen darzustellen, selbst nach monatelanger Recherche. Dadurch müssen Redaktionen lernen, dass Informationen sehr individuell aufgenommen werden. Warum sich immer mehr Medien daran trauen, ist, weil sie merken, wie wichtig TikTok für junge Menschen ist und vor allem auch, was es bedeutet, wenn bestimmte Zielgruppen vernachlässigt werden. Aber: Es gibt zwar einige Medien, die auf TikTok präsent sind, ihr Anteil ist meiner Meinung nach allerdings noch viel zu gering, gerade im Vergleich zum englischsprachigen Raum. Darüber hinaus sind die journalistischen Inhalte auf TikTok noch nicht den spezifischen Anforderungen der Plattform angepasst. Sie orientieren sich noch stark an den Formaten anderer Plattformen wie Instagram-Reels, obwohl das ja völlig unterschiedliche Formate sind.
Inwiefern kann TikTok im Schulalltag nützlich werden?
Ich empfehle meistens in einem ersten Schritt, auf TikTok bestimmte Inhalte zu recherchieren. Dabei gibt es zwei Varianten: Entweder gibt man den Begriff direkt in die Suchleiste ein, oder man nutzt die Funktion der personalisierten oder nicht personalisierten „For You“-Page. Ich finde es immer interessant, den Jugendlichen die Einstellungen auf TikTok zu zeigen und mit ihnen die verschiedenen Funktionen durchzugehen. Man kann beispielsweise einstellen, ob die „For You“-Page personalisiert ist oder nicht. Dann experimentieren wir damit und beobachten, wie sich die Inhalte ändern. Ich fordere die Jugendlichen auf, bestimmte Begriffe sowohl auf TikTok als auch auf Google und Instagram zu suchen, um die Unterschiede zu erkennen. Ein wichtiger Schritt ist es auch, die Kommentare zu lesen. Wenn wir beispielsweise ein brisantes Thema behandeln, suchen wir dazu ein TikTok-Video und lesen gemeinsam die Kommentare. Das hilft vielen Jugendlichen zu verstehen, dass sie oft eingeschränkt sind, wenn es um Informationen geht. Es ist wichtig, bewusst die Funktionen auf TikTok auszuprobieren und zu verstehen, was dahintersteckt, wenn wir uns umfassend informieren möchten.
„Seid ruhig auf TikTok aktiv, aber sucht unbedingt nach mindestens einer weiteren Informationsquelle.“
Was möchtest du jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Tatsächlich möchte ich das betonen, was ich bereits zuvor erwähnt habe: Seid misstrauisch. Glaubt nicht alles, was ihr auf TikTok seht, und sucht unbedingt nach anderen Informationsquellen. Ich verstehe vollkommen, dass nicht jede und jeder Lust hat, lange Texte zu lesen oder sich ausführliche Reportagen anzuschauen. Aber es gibt heutzutage viele verschiedene Formate zur Informationsbeschaffung. Also: Seid ruhig auf TikTok aktiv, aber sucht unbedingt nach mindestens einer weiteren Informationsquelle, die euch einen guten Überblick über das Tagesgeschehen bietet. Man darf nicht vergessen: Der TikTok-Algorithmus arbeitet nicht immer tagesaktuell. Wenn ihr also schnell über aktuelle Geschehnisse informiert sein wollt, solltet ihr euch nicht ausschließlich auf TikTok verlassen.
Dieses Interview ist Teil der kostenlosen Online-Fortbildung NewsCheckNRW für Lehrkräfte. Dort gibt es noch mehr Expertenwissen rund um das Thema Medienkompetenz. Den NewsCheckNRW können alle Interessierten finden unter: newscheck.nrw