Nachrichtenmüdigkeit geht häufig mit wenig Wissen zu journalistischer Arbeit einher
Bonn · Die Kommunikationspsychologin Dr. Ines Welzenbach-Vogel klärt für den NewsCheckNRW über gesundes Medienverhalten auf.
FOTO: Dr. Ines Welzenbach-Vogel
Liebe Frau Welzenbach-Vogel, warum entsteht gelegentlich der Eindruck, dass in den Medien nur schlechte Nachrichten kursieren?
In den Medien stehen oft negative Ereignisse im Mittelpunkt, das belegen auch Forschungsergebnisse. Journalistinnen und Journalisten neigen dazu, über Schäden und Probleme zu berichten, da diese Aspekte wichtig für die Nachrichtenwertigkeit eines Themas sind. Allerdings spielen auch andere Faktoren bei der Bestimmung des Nachrichtenwertes eine Rolle, wie die geografische und kulturelle Nähe des Ereignisses und seine potenzielle Auswirkung auf die Bevölkerung. Je mehr dieser Faktoren vorhanden sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Ereignis in den Nachrichten erscheint. Negativität ist mit Sicherheit ein bedeutender Faktor, aber nicht der einzige.
In der Medienbranche gibt es den Spruch „Only bad news are good news“. Was soll das bedeuten?
Negative Nachrichten erzeugen oft mehr Aufmerksamkeit bei den Mediennutzerinnen und -nutzern. Sie werden eher ausgewählt oder angeklickt und finden mehr Publikum. Studien zeigen zudem, dass negative Inhalte besser im Gedächtnis bleiben. Eine mögliche Erklärung für die menschliche Neigung zur Negativität liegt in einer evolutionären Perspektive: Negative Ereignisse haben eine höhere Relevanz für das Überleben, daher sind Menschen von Natur aus aufmerksamer für potenzielle Gefahren, Risiken oder Bedrohungen. Dieser Hintergrund kann den Fokus auf negative Nachrichten erklären. Aus Sicht der Medienproduzentinnen und -produzenten sind schlechte Nachrichten also oft gute Nachrichten, da sie höhere Klickzahlen, Aufrufe, Einschaltquoten oder Auflagen generieren.
Besonders im Hinblick auf die junge Generation wird immer wieder von dem Phänomen der Nachrichtenmüdigkeit gesprochen. Wie kommt es dazu, dass junge Menschen nachrichtenmüde werden?
Zum einen leben wir in einer Zeit, in der eine bedeutende Krise auf die nächste folgt, angefangen bei der Corona-Pandemie über die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten bis hin zum Klimawandel und seinen Auswirkungen. Vor allem junge Menschen haben oft das Gefühl, dass politische Ereignisse und Entwicklungen keinen direkten Bezug zu ihrem eigenen Leben haben oder dass sie keinen Einfluss darauf haben können. Darüber hinaus empfinden sie klassische journalistische Berichte oft als zu lang und komplex. Sie bevorzugen kurze, unterhaltsame Formate und fühlen sich von langen Texten abgeschreckt.
Insgesamt ist es daher verständlich, dass Menschen, unabhängig vom Alter, sich von den Nachrichten abwenden, wenn sie keinen persönlichen Bezug sehen, das Format als unzugänglich empfinden oder von der ständigen Negativität belastet werden.
Wie kann Nachrichtenmüdigkeit abgebaut werden?
Besonders bei jungen Menschen ist es wichtig, dass journalistische Formate ihre Nutzungsgewohnheiten berücksichtigen. Das kann durch modernere Formate geschehen, die thematisch die Bedürfnisse und Interessen der jungen Generation widerspiegeln. Dabei ist es wichtig, eine einfachere Sprache und kürzere Formate zu verwenden. Darüber hinaus sollte deutlich gemacht werden, wie politische Themen die Lebenswelt junger Menschen beeinflussen und warum sie für sie relevant sind. Eine persönliche Ansprache und eine intensive Kommunikation, wie es Influencer mit ihren Communities tun, sind für junge Menschen wichtig und sollten auch vom Journalismus aufgegriffen werden.
Wie könnte ein gesunder Umgang mit nachrichtlichen Inhalten zum Beispiel im Unterricht vermittelt werden?
Es zeigt sich, dass Menschen, die sich von Nachrichten abwenden oder nachrichtenmüde sind, oft ein geringes Verständnis für journalistische Arbeit haben. Sie wissen häufig nicht, wie Journalismus funktioniert, welche Standards gelten oder wie sie die Qualität von Beiträgen beurteilen können. Auch das Verständnis für die Rolle und Funktion des Journalismus in der Demokratie ist oft begrenzt. Ein Ansatz zur Verbesserung dieses Problems liegt in der Schulbildung. Durch die Vermittlung von Kenntnissen über journalistische Arbeitsweisen, Recherche und Quellenkritik und durch praktische Projekte wie die Erstellung von Schülerzeitungen oder Podcasts können Kinder und Jugendliche ein besseres Verständnis für Medienprozesse entwickeln.
Dieses Interview ist Teil der kostenlosen Online-Fortbildung NewsCheckNRW für Lehrkräfte. Dort gibt es noch mehr Expertenwissen rund um das Thema Medienkompetenz. Den NewsCheckNRW können alle Interessierten finden unter: newscheck.nrw