Influencer arbeiten nicht nach journalistischen Standards
Bonn · Immer mehr YouTube-Creator:innen schlagen mit ihren Videos große Wellen und regen gesellschaftliche Debatten an. Journalist Alexandre Kintzinger arbeitet als freier Journalist für das Medienkritik-Portal „Übermedien“ und erklärt, wie vermeintlich journalistische Inhalte von Creator:innen auf den Sozialen Medien einzuordnen sind.
FOTO: Alexandre Kintzinger
Lieber Herr Kintzinger, übernehmen immer mehr Creator:innen auf YouTube, TikTok und Co. die Rollen von Journalistinnen und Journalisten?
Aus meiner Sicht wäre es falsch anzunehmen, dass Content-Creator die Rolle von Journalistinnen und Journalisten übernehmen können. Journalistisches Arbeiten ist mehr als nur das Erstellen von Videos oder das Sammeln von Nachrichtenartikeln: Quellen müssen sorgfältig geprüft und eingeordnet werden und Informationen brauchen Kontextualisierung. Das passiert in Redaktionen, in denen ausgebildete Journalistinnen und Journalisten zusammenarbeiten, um neutral und objektiv zu berichten.
Wie sind Inhalte von YouTubern wie Kayla Shyx oder Rezo aus Ihrer Sicht einzuordnen? Was unterscheidet ihre Arbeit von der von Journalist:innen?
Es ist wichtig, die Motivationen hinter den Inhalten von Content-Creatorn zu verstehen, die auf YouTube oder TikTok journalistisch-investigativ wirken. Möchten sie wirklich über ein bestimmtes Thema aufklären oder verfolgen sie persönliche oder finanzielle Interessen? Einige sind da transparenter als andere, aber am Ende ist es entscheidend, ihre Absichten zu hinterfragen, um zu verstehen, in welcher Rolle sie auftreten.
Gerade in Sozialen Medien sind Meinungsbeiträge unter Content-Creatorn sehr verbreitet, wenn nicht die gängige Beitragsform, während Journalistinnen und Journalisten in Meinungsbeiträgen ihre persönliche Perspektive zwar teilen, ihre Arbeit in anderen Artikeln aber neutral bleibt oder verschiedene Standpunkte miteinbezieht. Am Ende hängt die Qualität und Integrität journalistischer Arbeit von der Einhaltung bestimmter Richtlinien und Standards ab, die weit über das einfache Zusammenstellen von Informationen hinausgehen.
Würden Sie also sagen, dass die Grenzen zwischen Meinung und sachlicher Darstellung bei Creator:innen verschwimmen, weil sie ja immer als Privatperson auf ihren Kanälen Videos teilen?
Ja, definitiv. Viele starten ihre Kanäle mit unterhaltsamen Inhalten und nehmen irgendwann die Rollen von Influencern ein, die auch für Produkte werben. Sie gewähren Einblicke in ihr Leben, was dazu führt, dass die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem verschwimmen. Oft ist unklar, ob die Person authentisch ist oder eine inszenierte Figur darstellt. Wenn Influencer dann auch journalistische Beiträge erstellen und Themen aufgreifen, bleibt die Frage nach ihrer Transparenz und Motivation offen.
Wann ist die inhaltliche Vermengung von Creator:innen und Journalismus mit Vorsicht zu genießen?
Wenn beispielsweise ein Format sowohl einen Journalisten als auch einen Influencer als Host hat, sollte klar sein, ob es sich um eine journalistische Sendung oder um Unterhaltung handelt. Es gibt auch Fälle, in denen Formate, die den Anschein von Journalismus erwecken, in die Hände ungeeigneter Personen geraten sind. Man sollte vorsichtig sein, wem solche Plattformen überlassen werden. Es ist nicht förderlich, wenn Personen mit fragwürdigen Motivationen und finanziellen Interessen Zugang zu journalistischen Formaten erhalten. Das kann den Ruf des Journalismus schädigen und zu zusätzlicher Kritik führen.
Was kann jungen Menschen dabei helfen, seriöse journalistische Formate zu erkennen, wenn sie auf YouTube, TikTok oder Instagram unterwegs sind?
Es wäre hilfreich, wenn mehr Menschen Zugang zu Medienbildung hätten, nicht nur optional, sondern verpflichtend, um zu verstehen, wie man Quellen bewertet und qualitativ hochwertige Informationen von unseriösen unterscheidet. Aber ganz konkret: Wenn nicht klar ist, ob eine Quelle vertrauenswürdig ist, ist es ratsam, nach anderen Perspektiven zu suchen und verschiedene Medien zu vergleichen. Es ist auch wichtig, die Privatpersonen, die Inhalte veröffentlichen, kritisch zu hinterfragen, selbst wenn sie behaupten, Journalisten zu sein. Darüber hinaus ist es sinnvoll, mit anderen Menschen zu diskutieren und verschiedene Meinungen einzuholen, sei es im Freundeskreis, von Eltern oder Lehrern. Durch den Austausch von Ansichten kann man seine eigenen Überzeugungen überprüfen und ein ausgewogeneres Bild erhalten.
Dieses Interview ist Teil der kostenlosen Online-Fortbildung NewsCheckNRW für Lehrkräfte. Dort gibt es noch mehr Expertenwissen rund um das Thema Medienkompetenz. Den NewsCheckNRW können alle Interessierten finden unter: newscheck.nrw